Globalisierung auf andorranische Art |
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Meinung: Globalisierung auf andorranische Art
30.09.2002
Die andorranische Tageszeitung Diari d'Andorra publizierte den offenen Brief
eines Andorraners über die Funktionsweise der andorranischen Wirtschaft. Diesen nicht alltäglichen Artikel haben wir auszugsweise übersetzt, da wir seine Sichtweise unseren Lesern nicht vorenthalten wollen:
"Gegenwärtig weiß man nicht mehr, wer in Andorra das Sagen hat. Jedenfalls sind das nicht die Regierung, das Parlament oder die Gemeinden, auch nicht die Ko-Fürsten, denn die haben durch die Verfassung ihre Vorrechte verloren.
Diejenigen, die in Andorra das Sagen haben, das sind faktisch die wirtschaftlichen Kräfte, die sich in wenigen Händen konzentrieren und die ganze Macht an sich reißen. Das ist Globalisierung auf andorranische Art.
Die weltweite Globalisierung erfolgt nicht durch die Staaten, sondern durch die großen multinationalen Unternehmen, die nur ihre eigenen Ziele verfolgen, auf Kosten der Armen und der Umwelt. Die Ergebnisse der Konferenzen von Rio, Kyoto und Johannesburg sind dafür ein gutes Beispiel.
Die andorranische Globalisierung erfolgt nach Maßgabe der großen Immobilieneigentümer und der Großfinanz. Das exzessive Wachstum dieses Landes geschieht nicht aufgrund der Erfordernisse des andorranischen Volkes, sondern nur aufgrund der reinen Immobilienspekulation und der Geldwäsche, die man in unverschämter Weise mittels der kommerziellen Ladenlokale betreibt, sich über die geltenden Gesetze hinwegsetzend.
Das weiß jeder ausser denen, die das wissen müssten und die davon nichts erfahren ... oder zumindest machen sie das vor.
Mit dem Raumordnungsgesetz hat die Regierung alle Vorrechte an die Gemeinden übertragen, bis zu dem Punkt, dass alle bis jetzt existierenden Bauvorschriften aufgehoben wurden. Auf diese Weise haben die Grundeigentümer und die Gemeinden freie Hand, um alles zu bauen, was sie wollen, einschließlich Wolkenkratzer.
Mit dem Einwanderungsgesetz werden alle, die von draußen zum Arbeiten kommen, legalisiert, wenn der Markt das verlangt.
In diesem Teufelskreis ohne Ende wird folglich jedes Jahr immer mehr gebaut, mehr Hotels, mehr Läden, die mehr Einwanderer und mehr Dienstleistungen brauchen, zum Nachteil der Lebensqualität.
Dies ist aber nicht das Andorra, das sich die andorranische Gesellschaft wünscht, und es ist der Moment gekommen, dass die Regierung und die Abgeordneten, ob Liberale oder Sozialdemokraten (Ideologien, die heute nichts mehr bedeuten) zusammen mit den Gemeinden während einer Zeitspanne ihre Projekte einstellen sollten und eine große nationale Debatte beginnen sollten über die Hauptfrage, die die Bürger sich stellen: Wie soll das Andorra von morgen sein? Wenn dies nicht geschieht, werden die Andorraner und die Residenten jeden Tag mehr besorgt sein über die Zukunft, die sie erwartet. Die nationale Identität wird verschwinden, als auch die katalanische Sprache, obwohl man ein Gesetz zu ihrem Schutz gemacht hat."
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Vgl. Moles Aristot, Pere: Carta oberta a l'amic Sícoris [CA], in: Diari d'Andorra - Dd'A, 2002, Nr. 3819, vom 30. September, S. 5
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