Paradies oder Inferno? Die zwei Gesichter von Andorra (Falschinformationen, Selbstzensur der Medien, Menschenrechtsverletzungen, Rechtsunsicherheit) |
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Paradies oder Inferno?
Die zwei Gesichter von Andorra
Von Horst Boldt, Andorra (IMD)
Der
oft als Steuerparadies bezeichnete Mikrostaat Andorra liegt geographisch
in den östlichen Pyrenäen zwischen Spanien und Frankreich.
Nur
selten dringen Nachrichten von den Geschehnissen über die Landesgrenzen
hinaus. Und wenn dann einmal im Ausland über das Fürstentum
berichtet wird, wird Andorra meist wegen seines anders angelegten Besteuerungssystems
von den einen zum Paradies hochstilisiert und von den anderen nur beiläufig
als bedeutungslos zur Kenntnis genommen. Daß es in der Folge zu
Falschinformationen über dieses so wenig bekannte Gebiet kommt,
ist den meisten wenig bewußt.
Die
mit rund 300 sonnigen Tagen im Jahr verwöhnten Täler des Fürstentums
werden jährlich von fast 10 Mio. Urlaubern besucht. Diese genießen
nicht nur die Hochgebirgslandschaft, sondern versüßen sich
den Urlaub durch preiswerte Einkaufsgelegenheiten hauptsächlich
Spirituosen und Tabakwaren. Fast alles muß importiert werden;
das sind jährlich Waren im Wert von mehr als 100 Mrd. Peseten (umgerechnet
ca. 1,4 Mrd. Mark). Ein Großteil der Waren wird von den Touristen
in "kleinen" Mengen wieder ausgeführt. Der Schmuggel
blüht auch heute noch, im kleinen wie im ganz großen.
Mittlerweile
zählt das Land rund 60.000 Einwohner. Einkommensteuer zahlt man
in Andorra nicht, weshalb so mancher Kapitalrentner seinen Wohnsitz
nach Andorra verlegt hat. Doch es ist nicht mehr so leicht wie früher,
eine Daueraufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Wer nun glaubt, daß
er in Andorra gar keine Steuern zahlen muß, wird enttäuscht.
Der Staat finanziert sich zwar zu 80 Prozent aus Einfuhrabgaben, doch
den Rest müssen die Bewohner in Form von Verwaltungsgebühren
und Pauschalabgaben, die eine soziale Komponente vermissen lassen, an
Kommunen und Landesregierung abführen.
Der
Immobilienmarkt ist gut entwickelt, die Spekulation blüht und die
nicht vermehrbaren Baulandreserven garantieren überdurchschnittliche
Gewinne in kurzer Zeit. Mehr als 20.000 Gastarbeiter, hauptsächlich
aus Spanien, finden in der Baubranche und dem Touristiksektor Arbeit.
Besucher beschreiben Andorra immer wieder als riesige Baustelle. All
das hat den Einheimischen in den letzten 30 Jahren schnell zu Reichtum
verholfen. Heute sind fast 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung
mit andorranischer Nationalität in der öffentlichen Verwaltung
beschäftigt. Aufgrund eines wenig vorteilhaften Berichts für
den Europarat geriet Andorra unter Zugzwang und so wurde die Resolution
217 (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen (Allgemeine
Menschenrechtserklärung) vom 10.12.1948 ohne Einschränkungen
am 29.03.1989 in die Rechtsordnung des Fürstentums eingegliedert
und jetzt im Artikel 5 der andorranischen Verfassung aufgenommen. Doch
von vielen in Andorra ansässigen Ausländern wird wiederholt
die allgemeine Rechtlosigkeit beklagt. Zahlreiche aus Gesetzen resultierende
Rechtsansprüche seien in der Praxis nicht durchsetzbar. Die Gesetze
seien nur bedrucktes Papier und dienten nur der Selbstdarstellung im
Ausland (window dressing).
Die
offizielle Landessprache katalanisch erschwert ausländischen Beobachtern
oftmals einen tieferen Einblick. Aus dem Ausland kommender investigativer
Journalismus findet dadurch fast nicht statt, so daß zu oft auf
offizielle Verlautbarungen und Hochglanzprospekte zurückgegriffen
wird. Die Sprache hat hier nicht nur eine kommunikative, sondern auch
eine den Informationsfluß behindernde Schutzfunktion.
Innerhalb
Andorras scheitert die Informationsfreiheit an der Selbstzensur der
Medien. Diese wird mittels Strafgesetzbuch durchgesetzt, das Geld- oder
Haftstrafen vorsieht für das dann immer schnell vorliegende Delikt
der Verletzung der Ehre von Personen und/oder Institutionen des Landes.
Noch
Mitte 1993 hat sich eine Gruppe von Betroffenen mit einer Kollektivbeschwerde
gegen das Fürstentum wegen eklatanter Menschenrechtsverletzungen, insbesondere
wegen der Mißachtung des Rechts auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit,
an eine supranationale Institution gewandt, und das, obwohl erst im
März 1993 74,2 Prozent der 9.123 Wahlberechtigten in einem Referendum
für eine demokratische Verfassung gestimmt hatten, die das seit
1278 bestehende Feudalsystem abschafft.
Trotzdem
wurde im September 1993 Andorra als 184. Mitglied in die Vereinten Nationen
aufgenommen, und die Beantragung der Mitgliedschaft im Europarat steht
unmittelbar bevor.
In
Andorra leben und arbeiten auch viele Ausländer, darunter etwa
350 Deutsche. Aufgrund der noch von der Regierung unter Oscar Ribas
Reig im Herbst 1993 eingeleiteten Gesetzesinitiative für ein neues
Immigrationsgesetz hat die allgemeine Rechtsunsicherheit weiter zugenommen.
Der Gesetzesentwurf sieht vor, den Ausländeranteil innerhalb von
10 Jahren von jetzt 80 Prozent auf 30 Prozent zu reduzieren.
Ob
die aus den ersten demokratischen Wahlen nach dem Inkrafttreten der
Verfassung des Landes mit knapp 10.000 Wahlberechtigten vom Dezember
1993 hervorgegangene neue und zugleich alte Regierung eine Besserung
der Lage bringen wird, muß abgewartet werden.
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Externe Links
URL:
http://www.iadm.de
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Zitiervorschlag
Boldt,
Horst: Paradies oder Inferno? - Die zwei Gesichter von Andorra. Online
in Internet: URL: http://www.andorra-intern.com/artikel/de940501.htm
[Stand: *Abrufdatum*].
Dieser
Beitrag entstand ursprünglich im Auftrag der
Internationalen Assoziation deutschsprachiger Medien e.V. (IADM)
in Köln und wurde erstmals veröffentlicht in: Internationaler
Mediendienst - imd, 21. Jahrgang, 1994, Nr. 1, S.12.
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